Dieser Twitter-Thread stammt vom zugehörigen Twitter-Account @frauabgeordnete vom 27.1.2021. Die Quellen hierfür sind am Ende sämtlich aufgeführt. Die Tweets wurden teilweise in längere Absätze für einen besseren Lesefluss zusammengefügt, wenn es inhaltlich zusammengehörte.
Luise Zietz war am 26. Januar 1922 im Reichstag zusammengebrochen. In der folgenden Nacht stirbt sie. Von ihrem plötzlichen Tod, dem Trauerumzug und der Beerdigung berichtet die Presse beider SPDen (MSPD wie USPD) ausführlich.
#OnThisDay 1922
#OnThisDay [27.1.] 1922 stirbt Luise Zietz.
Das wird ein längerer Thread über den Tod, das Begräbnis und die Erinnerung an eine der Vorkämpferinnen der proletarischen Frauenbewegung und die erste Frau im SPD-Parteivorstand 1908, die zudem seit 1919 für die USPD Parlamentarierin im Reichstag war.

Am 26. Januar 1922 erlitt die USPD-Abgeordnete Luise Zietz einen Ohnmachtsanfall während der Rede eines DNVP-Abgeordneten im Sitzungssaal und musste von ihren GenossInnen aus dem Saal getragen werden. Man bringt sie gegen 21 Uhr in ihre Wohnung, ihr Zustand hatte sich gebessert. Dort hätten dann allerdings die Anwesenden eine Stunde nach ihrer Ankunft beschlossen, dass man sie besser ins Krankenhaus bringen sollte.
Von diesem Ohnmachtsanfall berichteten noch am Morgen des 27. Januars mehrere Zeitungen: Die Freiheit (USPD-Zeitung) teilte in ihrer Morgen-Ausgabe mit, dass Luise Zietz im Reichstag einen Ohnmachtsanfall erlitt. „Das Befinden der Genossin Zietz (…) war erfreulicherweise gestern Abend so gebessert, daß sie mittels Auto in ihre Wohnung gebracht werden konnte.“ Dies meldeten an diesem Morgen beispielsweise auch die Vossische Zeitung und Berliner Tageblatt- und Handelszeitung. Was sie noch nicht wussten als die Morgen-Ausgaben gedruckt wurden: Luise Zietz war am Morgen gegen 6 Uhr im Krankenhaus am Urban verstorben.
Beim Verfassen der Abendausgaben wusste man dann mehr: Die Freiheit teilte in ihrer Abendausgabe mit, dass Luise Zietz „mitten im Kampfe (…) gefallen“ sei. Sie, die keine Ruhe gekannt habe. „Unsere Bewegung hat der Genossin Luise Zietz unendlich viel zu verdanken.“

Betrachten wir zunächst was die weiteren Zeitungen an diesem Abend schreiben: Die Deutsche Allgemeine Zeitung schreibt in ihrer Abendausgabe: „Frau Zietz war eines der charakteristischsten Mitglieder der Reichstagsfraktion der Unabhängigen“ gewesen. „Eine Persönlichkeit von zweifellos starker Initiative und Arbeitskraft, eine Fanatikerin aber auch, die keine Hemmungen kannte.“ Die Zeitung berichtet zudem davon, dass alle ParlamentarierINNEN (!) „eine gemeinsame (!) Kranzspende“ geben werden.

In der Abendsausgabe des 27.1. ist auch ein Nachruf in der Vossischen Zeitung zu finden. Dort steht über Luise Zietz: Sie sei „eine Zeitlang (…) als ultraradikal verschrieen“ gewesen, „weil sie sich durch Zwischenrufe besonders oft bemerkbar“ gemacht habe. Allerdings sei sie nicht so radikal gewesen, so die Vossische, „wie sie sich vielfach anhörte“. Ihr „Frauentemperament (…) zeige sich nicht bloß in äußerer Lebhaftigkeit, sondern auch in dem warmherzigen Gefühl, aus dem ihre Heftigkeit oft zu erklären war.“

Die Anteilnahme der ParlamentarierInnen im Reichstag sei sehr groß gewesen – selbst unter ‚den Rechten‘ sei bedauert worden, dass der DNVP-Abgeordnete, der sprach als sie hinausgebracht wurde, „nicht ein paar Worte des Mitgefühls gefunden“ hatte. In der gleichen Ausgabe der Vossischen Zeitung wird berichtet, dass Reichstagspräsident Paul Löbe zu Beginn der Reichstagssitzung „einige Sätze, die von dem Hause stehend“ über Luise Zietz sprach „und mit sichtbarer Anteilnahme angehört wurde“ über Luise Zietz sprach.

In der Abendausgabe des 27.1. in der Berliner Volkszeitung: „Mit ihr scheidet eine Persönlichkeit aus dem politischen Leben, die in mancher Hinsicht bemerkenswert ist.“ Sie sei ein „stets vorwärtstreibender Faktor in der Partei“ der SozialdemokratInnen gewesen. Ebenfalls Abendausgabe des 27.1. im Berliner Tageblatt und Handelszeitung. Die Zeitung würdigt die verstorbene Holsteinerin, denn sie „gehörte seit 30 Jahren der sozialdemokratischen Partei an, in der sie namentlich für die Organisation und politische Schulung der Frau eingetreten ist.“ Ein wenig weiter im Nachruf: „Jetzt hat der Tod der oft maßlosen Agitation dieser leidenschaftlichen Politikerin, die trotz schweren Leidens ihre Abgeordnetenpflicht bis zum letzten Tage erfüllte, ein plötzliches Ende bereitet.“

In ihrer Ausgabe vom 28.1. druckt die Freiheit das Beileidstelegramm der SPD an die USPD ab: „Die [SPD] nimmt lebhaften Anteil an dem schweren Verlust, den Ihre Partei und die ganze Arbeiterbewegung durch den Tod der Genossin Zietz erlitten.“ Ebenso hätten laut Freiheit alle bürgerlichen Fraktionen des Reichstages dem Vorstand der USPD ihr tiefstes Beileid bekundet. Ebenso „zahlreiche Frauen auch der bürgerlichen Fraktionen“. Sie hätten „zugleich ihre große Wertschätzung für die Verstorbene“ zum Ausdruck gebracht. In der gleichen Ausgabe der Freiheit wurden die „Pressestimmen zum Tode der Genossin Zietz“ abgedruckt. Darunter die bereits zitierte Vossische Zeitung und die Berliner Volkszeitung. Sowie die folgenden. Außerdem wurde die Erzählung „Aus meinem Leben“ abgedruckt:

Beileidsbekundungen & weitere Nachrufe
Folgend die in der Freiheit wiedergegebenen Nachrufe für Luise Zietz anderer Zeitungen: So stehe in der Roten Fahne (KPD), dass sie „eine der markantesten Erscheinungen innerhalb der proletarischen Frauenbewegung“ war. Ihr Tod werde auch in der KPD bedauert. Die 57jährige sei eine mutige und unerschrockene Vorkämperin für die ganze ArbeiterInnenbewegung gewesen. Im Berliner Lokalanzeiger wurde über sie geschrieben, dass ihr immerhin anzuerkennen sei, „daß sie ein persönlich durchaus anständiger Mensch“ gewesen sei. Sie sei zudem „eine gewisse Größe“ im Reichstag gewesen, gleichzeitig jedoch sei sie eine Fanatikerin. Im Vorwärts (SPD) wurde geschrieben, dass sie dem „Typus der aufsteigenden Arbeiterin“ vollumfänglich entspreche. Man werde Luise Zietz‘ Gedächtnis bewahren und es werde „auch bei denen wach[ge]halten, denen sie in den letzten Jahren mehr und mehr entfremdet war.“
Der Vorwärts gibt in seiner Morgen-Ausgabe vom 28.1. dann noch die bereits oben im Bild befindlichen Worte Löbes wieder. In der Abendausgabe teilte dann auch der Vorwärts mit, wann und wo die Trauerfeier für Luise Zietz stattfinden werde.
Auch die Ausgabe der Freiheit einen Tag später (am 29.1.1922) widmet sich weiterhin dem überraschenden Tod von Luise Zietz. So ist dort ein langes Beileidsschreiben von „Genosse und Genossin Kautsky“ abgedruckt. Luise und Karl Kautsky schrieben über ihre „Genossin und Freundin“: Sie sei „eine der bedeutendsten Frauen Deutschlands [gewesen] und dem Befreiungskampf der Frau ebenso wie dem des Proletariats eine gewaltige Führerin“ gewesen. Man könne „sie nicht besser ehren, als wenn wir in diesem Sinne weiter arbeiten.“ (Kurze Randinfo an dieser Stelle: Luise Kautsky wird 1930 im ‚Handbuch der Frauenarbeit in Österreich‘ einen Artikel über Luise Zietz verfassen.) Im letzten Absatz dieses Artikels verfasst von Luise Kautsky über ihre Freundin Luise Zietz:
„Am 27. Jänner 1922 stürzte Luise Zietz im Sitzungssaale des Reichstages während einer Rede des Grafen Westarp bewusstlos zusammen. Mitten in der Arbeit hatte der Tod sie ereilt.
Zit. aus: Luise Kautsky: Starke Frauen. 15 Porträts von Jenny Marx bis Rosa Luxemburg, S. ?
Mit ihr starb ein Mensch, der immer nur das Beste gewollt, und es mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft zu verwirklichen bestrebt war, ein Herz stand still, das immer nur für die Enterbten und Erniedrigten geschlagen, ein Leben was beendet, das voll und ganz im Dienste der Arbeiterklasse gelebt worden war. Die Arbeiterklasse dankt es ihr, indem sie ihr Andenken hoch in Ehren hält und ihrer nie vergessen wird.“
Weiterhin gingen Beileidsbekundungen ein, die die ‚Freiheit‘ abdruckte vom USPD-Bezirks- und Ortsvorstand Bremen („es fiel mitten bei der Arbeit im Klassenkampf eine der besten Klassenkämpferinnen“), von der SPD-Reichstagsfraktion („Wir bedauern mit Ihnen, dass die begabte Kollegin so frühzeitig aus dem Leben“ schied“), vom SPÖ-Frauenreichskomitee („Die österreichischen Genossen trauern mit Euch über den Verlust der großen Vorkämpferin.“), der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschecho-Slowakei (später auch der Frauen dieser Partei), der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Georgiens.
Die ‚Freiheit‘ teilt in der Morgen-Ausgabe vom 31.1.1922 mit: „Immer noch laufen bei der Zentralleitung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aus dem In- und Ausland Beileidsschreiben und Beileidstelegramme aus Anlaß des Todes der Genossin Luise Zietz ein.“ Von der Sozialistischen Partei Frankreichs (Unterschrieben von Paul Faure). „Von Genossin Tony Sender, die ihres Gesundheitszustandes wegen in Davos-Dorf (Schweiz) ist“. Von Redaktion und Verlag der „Münchener Morgenpost“, dem Bezirk Mittelrhein, den USPD-Bahnern in Bremen, dem USPD-Bezirksvorstand Braunschweig, dem USPD-Kreisverband Göppingen, dem USPD-Bezirk Mecklenburg, der USPD-Hamburg und dem Zentralvorstand der USPD Zeitz. Ferner des Zentralkomitees der Jüdisch-sozialdemokratischen Arbeiter-Organisation „Poale Zion“ in Deutschland und von der Föderation syndikalistischer Frauenbünde in Deutschland.
Die Freiheit schreibt (anscheinend über die große Anzahl der Beileidsbekundungen in der Ausgabe vom 1. Februar resümierend) über „Die Trauer um Luise Zietz“: „Wie sehr die aufopfernde Tätigkeit unserer nunmehr verstorbenen Genossin Zietz für die Aermsten der Armen von diesen dankbar empfunden wurde, wie hoch das Maß der Anerkennung ist, das sich die Genossin Zietz auch bei den hervorragendsten bürgerlichen Frauenrechtlerinnen erworben hatte, dafür geben die folgenden Beileidsschreiben Beweis.“
Neben den bereits genannten Beileidsschreiben werden nun auch genannt: der Zentralverband der Invaliden und Witwen Deutschlands („Genossin Zietz war eine gute Förderin unserer Organisation und wir haben mit ihr viel verloren.“), Minna Cauer ((die die Freiheit als „greise Vorkämpferin der Frauenbewegung“ umschreibt) „Luise Zietz diente einer höheren Idee (…), sie opferte alles für diese Idee, selbst ihre Gesundheit. Wer sie in ihrem Wirken achten gelernt hat, wird ihr Andenken hoch halten.“), Regine Deutsch (DDP) („Daß Frau Zietz eine ehrlich-überzeugte gerade Persönlichkeit, eine Idealistin von reinstem Gepräge war, entnahm ich ihrem ganzen Wirken.“), Clara Zetkin („sendet ‚der unermüdlichen, mutigen Kämpferin für das Recht des Proletariats und des weiblichen Geschlechts, für die Befreiung des Menschheit aus den Fesseln des Kapitalismus [einen] tiefempfundenen Abschiedsgruß'“), die holländische Sozialdemokratische Arbeiterpartei („Genehmigt unsere aufrichtige Teilnahme beim Tode unserer Streitgenossin Luise Zietz.“), die bayerische Landtagsfraktion der USPD („bezeugt Beileid zum Tode der Genossin Zietz“) sowie die Ortsgruppen der USPD in Schweinfurt und Offenbach a.M.
Über die Einäscherung
Am 2. Februar 1922 fand die Einäscherung von Luise Zietz statt. Dort sprachen mehrere ihrer WeggefährtInnen:
Für die Zentralleitung der USPD der Parteivorsitzende Arthur Crispien, Lore Agnes (MdR) für die Frauen der USPD, für die französischen Genossen ein Abgesandter Gen. Caussy (?), für den Reichstag der Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD), für den USPD-Bezirk Berlin-Brandenburg Gen. Krille, für die Berliner Frauen sprach Margarethe Wengels (die sie als leuchtendes Vorbild beschrieb), Gen. Zachert für den Reichsbeamtenbeirat der USPD, Luise Kähler sprach für die ehemalige Mitarbeiterin und Mitbegründerin des Hausangestelltenverbandes einige Abschiedsworte, der 2. Vorsitzende (Gen. Graßmann) sprach für den Allg. Dt. Gewerkschaftsbund, für die Zentrale der KPD sprach Martha Arendsee (MdL), für die Reichstags- und Landtagsfraktion der KAG Adolf Hoffmann (und sprach den Wunsch nach Einigkeit des Proletariats an ihrem Sarge aus) und als letzter sprach Gen. „Zubeil der langjährigen Freundin und Genossin bewegte Worte nach“. Die Freiheit beschreibt diese Feier am Sarg: „Unter feierlichen Orgelklängen, begleitet von gedämpften, schwermütigen Tönen der Geige, verschwand der Sarg in der Tiefe.“ (Anm. Gemeint wird hier sein, dass der Sarg daraufhin eingeäschert wurde. Das Urnenbegräbnis fand am 5.2. statt).
Kränze waren für die Sargfeier vor der Einäscherung gespendet worden von der Zentralleitung der USPD, den Frauen des Reichstages (mit weißen Schleifen! Anwesend für diese war Fr. v. Oheimb, DVP), den Frauen der SPD (Abg. Johanne Reitze aus Hamburg sollte sprechen, wurde jedoch durch den Eisenbahnerstreik daran gehindert), der Zentrale der KPD, der Reichs- und Landtagsfraktion der KAG sowie der französischen sozialistischen Partei.
Gemeinsamer Kranz der weiblichen Parlamentarierinnen
Ein kurzer Exkurs: Dass die Parlamentarierinnen einen eigenen Kranz aufstellten und das noch fraktionsübergreifend, und dass mit Katharina von Oheimb (DVP!) bei der Einäscherung (vom Begräbnis finden sich dazu keine öffentlich zugänglichen Hinweise) anwesend war, verwundert. Allerdings nur kurz, wenn man das folgende exemplarisch (!) für das Wirken der Parlamentarierinnen miteinander liest. Dass Luise Zietz von den anderen Parlamentarierinnen überaus geschätzt worden war (und die andere ebenso), bezeugen an dieser Stelle zwei Aussagen über Begebenheiten (es finden sich durchaus weitere):
Luise Zietz beispielsweise sagte in einer ihrer Reichstagsreden über die DNVP-Reichstagsabgeordnete Margarethe Behm: Diese sei ihr „als Mensch so außerordentlich sympathisch“. Sie müsse sie aber „leider aufs heftigste bekämpfen, wenn sie als Politikerin auftritt.“ (siehe dafür auch Mergel). Clara Mende (DVP) beschrieb in ihrem Nachruf Luise Zietz als „Musterbeispiel von Fleiß, Pflichttreue und Unermüdlichkeit“. Damit habe sich die Verstorbene ihre Achtung verdient. Sie hätten sich einst bei einer Tasse Kaffee an einem heißen Tage näher kennengelernt. Nachdem Luise Zietz dann Clara Mende ihre Lebensgeschichte erzählt habe, hätte sie „seitdem manches verstanden und nicht mehr verurteilen können, was andere ihr“ vorwarfen. (siehe dafür u.a. bei Mergel und Lauterer)
Beerdigung von Luise Zietz am 5.2.1922
Die Beerdigung von Luise Zietz fand am 5.2.1922 statt. Diese begann mit einer Trauerfeier im Stadthaus. Von dort lief dann ein Trauerzug zum Zentralfriedhof in Friedrichsfelde (auch ‚Sozialistenfriedhof‘; hier wurden auch u.a. Wilhelm Liebknecht und Emma Ihrer beerdigt). Zur Teilnahme an ihrer Beerdigung wurde bereits in der Freiheit vom 29.2. im Namen der USPD nochmals aufgerufen. Die Leiche von Zietz werde am 2.2. nachmittags um 6 Uhr im Krematorium in der Gerichtsstraße eingeäschert (s. Oben). Am Sonntag, den 5.2.1922, werde vormittags um 10 Uhr in der Festhalle des Stadthauses in der Klosterstraße eine Totenfeier abgehalten. Dafür werden Karten ausgegeben aufgrund des zu erwartenden Andrangs. Die Aufstellung nach Distrikten für den Trauermarsch erfolge danach von 11- 12 Uhr in der Klosterstraße. „Um 12 Uhr beginnt der Abmarsch nach dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde“ mit der Asche von Luise Zietz. „Banner und Fahnen sind mitzubringen“, wie Anzeigen mitteilten. Die Freiheit berichtet am 6.2.1922 ausführlich über die Trauerfeier am Tag zuvor in der Stadthalle: „Um 10 Uhr hatten sich die Vertreter der USPD und der Bruderparteien sowie der Gewerkschaften im Stadthause versammelt, um (…) von Luise Zietz sich zu verabschieden.“ Die Urne stand auf einem „leuchtend rotem Sockel, flankiert von Lorbeerbäumen“. Es sei eine „schlichte, aber würdige Feier“ gewesen. Eine Fahne hing vorne herab mit der Inschrift „Freiheit. Gleichheit. Brüderlichkeit“. Der Saal war überfüllt. Der Schubert-Chor (die Arbeitersänger) sangen „Unsterbliche Opfer“. Es folgte ein Requiem.
Danach ergriffen das Wort nacheinander: Als erster Wilhelm Dittmann. Er sagte in vollster Bewunderung ihrer Person und geleisteten Arbeit „sie war der weibliche Bebel.“ Luise Zietz sei „die bedeutendste Führerin proletarischer Herkunft“ gewesen, „die die sozialistische Bewegung“ hervorgebracht habe bisher. „Fast alle führenden Genossinnen der drei sozialistischen Parteien bekennen heute offen und frei, daß sie mehr oder minder Schülerinnen unserer Luise Zietz sind.“ Luise Zietz sei „mit einem Herzen voll Liebe und Güte“ ausgestattet gewesen. Noch die übernächste Generation werde sich an sie erinnern (Und daran arbeitete zunächst die USPD, später die SPD fleißig, später mehr!). Anna Nemitz (MdR) sagte, dass „die ständigen Kampfrufe“ von Luise Zietz „ihr auch den Haß der ganzen bürgerlichen Gesellschaft“ brachten (gemeint sind wohl ihre ständigen berühmt-berüchtigten Zwischenrufe bei Reichstagssitzungen. Sie erreichte dadurch besondere Aufmerksamkeit, insbesondere in bürgerlichen Tageszeitungen, die auch in ihren Nachrufen für Luise Zietz mehrfach daran erinnerten). Aber die Zwischenrufe von Luise Zietz wären nochmal einen eigenen Thread wert. U.a. Heide-Marie Lauterer beschreibt diese ausführlich – wer vorher nachlesen möchte. Aber wir schweifen ab.
Die Berliner Genossin Fahrenwald als Dritte: Sie würdigt Luise Zietz. Sie sagte, dass „sicherlich viele Genossinnen hier [seien], die Luise Zietz ihre sozialistische Schulung verdanken und denen sie Führerin auf dem Wege zum Sozialismus“ gewesen sei. „Zu früh ist Luise Zietz von uns gerissen worden.“ (Und ich glaube die Worte Fahrenwalds beschreiben am Eindringlichsten wie groß der Verlust für die USPD insgesamt gewesen sein muss.) „Jugendgenosse Schwarz“ sprach kurz und versprach: „und wir danken ihr [ihre Arbeit] dadurch, daß wir den Jugendlichen sagen: ‚Nehmt Euch diese Frau zu Eurem Vorbild, arbeitet im Sinne dieser Frau“!
Trauerzug
Danach begann der Trauerzug vom Stadthaus zum Zentralfriedhof. Bereits seit dem 28.2. hatten USPD(-nahe) Verbände (später auch der vorwärts mehrfach) u.a. in der Freiheit dazu aufgerufen, daran teilzunehmen: In mehreren Ausgaben der Freiheit teilen via Anzeige mehrere der USPD angegliederte Verbände mit wann sie sich zum Trauermarsch von Luise Zietz wo aufstellen werden. Folgend nur einige ausgewählte Beispiele davon:
„U.S.P.D.-Straßenbahner. Alle dienstfreien U.S.P.D.-Straßenbahner treffen sich in Uniform zwecks Teilnahme an der Beisetzungsfeierlichkeit der Genossin Luise Zietz am Sonntag vormittag zwischen 11 und 1/2 12 Uhr in der Klosterstraße an der Klosterkirche.“
„Eisenbahner! Beamte!“ sollen an der „Ueberführung ihrer Asche“ sich beteiligen. Dazu treffen zur Aufstellung um 11 Uhr am Molkenmarkt. „Wir fordern hiermit unsere dienstfreien Kollegen auf, sich (..) Beisetzung (..) am Sonntag (..). zu beteiligen.“ Man schließe sich den USPD-Eisenbahnern an.

„Die Sozialistische Proletarier-Jugend nimmt am Sonntag geschlossen an der Ueberführung der Urne der Genossin Zietz nach Friedrichsfelde teil. Treffpunkt um 11 Uhr an der Kloster- Ecke Königsstraße. Fahnen und Banner sind mitzuführen.“ (USPD-)“Reichsdruckerei. Die Belegschaft beteiligt sich restlos an der Bestattung unserer Genossin Luise Zietz. Die Aufstellung erfolgt um 11 Uhr am Georgenkirchplatz hinter dem Schild: Reichsdruckerei.“
„Die Mitglieder des Schubert-Chors treffen sich um 3/4 10 nur am Eingang zur Untergrundbahn vor dem Stadthause in der Klosterstraße.“ (Sie sangen bereits im Stadthaus)
Die Freiheit teilt für auswärtige Delegationen am 2.2.1922 mit: Auswärtige Delegationen können am Sonntag von 9 Uhr ab Karten zur Teilnahme an der Feier im Bureau der Zentralleitung, Breite Straße 8/9, vorn 1 Treppe, in Empfang nehmen. In den Trauerzug solle man am Ende eintreten.
Die Freiheit berichtete im Nachgang am 6.2. über den Trauerzug: „Die Spitze des Zuges bildete eine Kapelle der Straßenbahner. Mit zahlreichen, meist umflorten roten Fahnen folgte die Jugend, vor Urnen- und Kranzwagen, Zentrale und Fraktion unserer Partei, die Kranzdeputationen.“ Aprops Kränze: Am 5.2. stammten diese von den Fraktionen und Parteileitungen von USPD, SPD und KPD (!). Die Spenden von und für Kränze seien überwältigend gewesen: Von diversen (!) Parteidistrikten über privaten Personen (Arbeitern, Beamten und Angestellten) bis hin zu den „Bruderparteien“ aus Russland, Frankreich und Österreich. Wiederum hatten die Parlamentarierinnen (fraktionsübergreifend!) einen Kranz mit weißen (!) Schleifen gesandt. Auch einer des Reichstages mit schwarz-rot-goldenen Schleifen war übersandt worden zur Trauerfeier. Den Kranzdeputationen folgten Beamte, Belegschaften größerer Betriebe und die Distrikte der USPD. Der Trauerzug endete beim Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Dort war die Grabstätte „ausgekleidet mit Tannengrün“. Dort sei „das schöne Lied ‚Ein Kind des Volkes wollt sie sein'“ gesungen worden. Dabei wurde ihre Urne hinab gelassen. Lange nahmen die TeilnehmerInnen des Trauerumzugs am Grabe Abschied von ihrer Genossin Luise Zietz.
Erinnerung an Luise Zietz
Der Thread könnte an dieser Stelle enden. Allerdings sollte die Erinnerung, zunächst der USPD, später der SPD, noch angesprochen werden. Betrachten wir zunächst (kurz) die Nachrufe der USPD und der SPD von 1922:
Nachruf von Clara Bohm-Schuch (MdR) im vorwärts (SPD) vom 2.2.1922 (Morgen-Ausgabe). „Solange sie lebte, schaffte sie: der Tod nur konnte sie zur Ruhe zwingen.“

Nachruf der USPD in der Ausgabe der Freiheit vom 2.2.1922, Abendausgabe. „Im dichtgefüllten Raume des Krematoriums in der Gerichtstraße versammelten sich gestern abend die [GenossInnen] sowie zahlreiche Delegationen, um der toten Gen. Luise Zietz ein letztes Lebewohl zuzurufen.“
Auch international vernahm man in der Frauenbewegung den Tod von Luise Zietz: Marie Stritt (vormals u.a. Präsidentin des Bundes Deutscher Frauenvereine; DDP) schrieb in den „International women’s news“:

Die Erinnerung an Luise Zietz wurde hochgehalten – auch in der SPD. So erschienen fortan immer wieder an ihrem Todestag Artikel zu ihrem Andenken. So u.a. 1923 an ihrem 1. Todestag der Artikel „Luise Zietz zum Andenken“. An ihrem 1. Todestag fand zudem eine Gedächtnisfeier statt – das berichtet der vorwärts (bald nach Luise Zietz’ Tod hatten sich Teile der USPD und die SPD wieder zusammengeschlossen).
Artikel an ihren Todestagen erschienen u.a. noch 1925 „Luise Zietz zum Gedächtnis“: … „drei Jahre, seit Luise Zietz (…) von uns gerissen wurde.“

Und an ihrem 10. Todestag 1932 liest man im Vorwärts von einer „Gedenkfeier für Luise Zietz“:
Quellen
Freiheit vom 27.1.1922 (Abendausgabe), Freiheit vom 28.1.1922 (Morgen- und Abendausgabe), Freiheit vom 29.1.1922 und vom 31.1.1922 (je Morgenausgabe), Freiheit vom 1.2.1922 (Morgenausgabe), Freiheit vom 2.2.1922 (Morgen- und Abendausgabe), Freiheit vom 4.2.192 (Morgen- und Abendausgabe), Freiheit vom 6.2.1922 (Abendausgabe), Freiheit vom 28.3. (Morgenausgabe), Vorwärts vom 28.1.1922 (Morgen- und Abendausgabe), Vorwärts vom 2.2.1922 (Morgenausgabe), Vorwärts vom 27.1.1923 und 29.1.1923, Vorwärts vom 27.1.1925 und vom 1.2.1925, Vorwärts vom 17.1.1932, 22.1.1932, 25.1.1932 (Abendausgabe), 26.1.1932 (Abendausgabe) und 27.1.1932 (Abendausgabe)
Darüber hinaus: div. Reichstagsprotokolle, Heide-Marie Lauterer: Parlamentarierinnen, Thomas Mergel: Parlamentarische Kultur und Luise Kautsky: Starke Frauen.